Schaulust und Sinnestäuschung
Ein paar Tricks der illusionistischen Malerei
Das Spiel mit der Wahrnehmung ist ein zeitloses Phänomen und fasziniert heute ebenso, wie vor 400 Jahren. Damals führten neue Errungenschaften auf dem Gebiet der Optik und damit einhergehende künstlerische Experimente zu erstaunlichen Effekten in der Malerei.
Lernen Sie einige der virtuosen Kunstgriffe kennen, die Rembrandt und Van Hoogstraten – zum Teil auch in überraschenden Kombinationen – nutzten, um Betrachter*innen zu täuschen.
Die beiden Maler sind aber nicht die ersten, die durch innovative Methoden zu verblüffenden künstlerischen Ergebnissen gelangten. Einige Werke aus den Sammlungen des Kunsthistorischen Museums treten hier in Dialog mit Bildern Rembrandts und Van Hoogstratens.
Vorhang auf!
Wie alles begann...
„Zeuxis malte im Wettstreit mit Parrhasios so naturgetreue Trauben, dass Vögel herbeiflogen, um an ihnen zu picken.“
Plinius d. Ä. (23–79 n. Chr.)
Der antike Schriftsteller Plinius erzählt vom Wettstreit zwischen den Malern Zeuxis und Parrhasios. Zeuxis soll Weintrauben so naturgetreu dargestellt haben, dass sie hungrige Vögel anlockten. Siegessicher forderte er Parrhasios daraufhin auf, den Vorhang vor dessen eigenem Gemälde zur Seite zu ziehen, um das Bild darunter betrachten zu können. Doch: Der Vorhang war nur gemalt! So trug Parrhasios den Sieg davon, da er sogar seinen Künstlerkollegen getäuscht hatte.
In der Kunst wird auf diese Geschichte immer wieder Bezug genommen – unter anderem von Rembrandt.
Ab den 1640er Jahren experimentiert er mit Augentäuschungen und nutzt dazu das Motiv des Vorhangs als Verbindungselement zwischen dem Raum im und vor dem Bild. Mit dieser Grenze spielen auch Rembrandts Schüler in vielen ihrer Werke.
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Matthäus Merian d. Ä., Zeuxis und Parrhasios im Wettstreit, 1657, in: Joh. Ludov. Gottfridi Historische Chronica © Heinrich Heine Universität Düsseldorf
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Rembrandt, Junge Frau im Bett (Sara erwartet Tobias), 1647, National Galleries of Scotland. Presented by William McEwan 1892 © National Galleries of Scotland, photo: Antonia Reeve
Aus dem Rahmen?
Grenzüberschreitungen
„Jan van Eyck machte und vollendete mich“
Jan van Eyck auf einem Bilderrahmen (1439)
Bereits im 15. Jahrhundert ereignete sich auf dem Gebiet der künstlerischen Täuschung eine Art visuelle Revolution.
Im Norden Europas war der altniederländische Maler Jan Van Eyck führend, der durch genaue Beobachtung und die Verwendung der noch jungen Technik der Ölmalerei in seinen Bildern bis dahin nicht gekannte Lebensnähe erzielte. Neu war auch, dass er den bemalten Rahmen mitunter in Form darauf versteckter Botschaften in die Bilderzählung einbezog. Indem er die Grenze zwischen Rahmen und Bild verwischte, verführte er Betrachtende zum „Be-greifen“ des Gesehenen.
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Jan van Eyck, Der Goldschmied Jan de Leeuw, 1436 datiert © KHM-Museumsverband, Kunsthistorisches Museum Wien
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Rembrandt, Mädchen im Bilderrahmen, 1641.© The Royal Castle in Warsaw – Museum
200 Jahre später geht Rembrandt noch einen Schritt weiter:
Die Dargestellte scheint über den Rahmen des Bildes zu greifen. Die Grenze zwischen realem und gemaltem Bilderrahmen lässt Rembrandt gekonnt verschwinden. Das Bild wurde in seiner Werkstatt wohl intensiv diskutiert und mehrfach kopiert.
Voller Durchblick?
Ein- und Ausblicke
„Als Erstes zeichne ich auf der zu bemalenden Fläche ein rechtwinkliges Viereck von beliebiger Größe; von diesem nehme ich an, es sei ein offenstehendes Fenster, durch das ich betrachte, was hier gemalt werden soll.“
Leon Battista Alberti, 1435
Mit seinen Doorkijkes (deutsch: „Durchblicke“) schafft Van Hoogstraten fantastische Ausblicke in Räume oder Landschaften. Zum Einsatz kommen dabei bevorzugt Schwellen zwischen Innen und Außen in Form von Fenster- oder Türöffnungen in realer Größe, wie hier in die Innenräume eines typischen holländischen Hauses seiner Zeit.
Van Hoogstraten knüpft damit an Erkenntnisse aus dem Bereich der Perspektive an, die Künstler*innen der Renaissance bereits rund 200 Jahre zuvor im 15. Jahrhundert einzusetzen begannen. Mit ihrer Hilfe gelang es ihnen, den Bildraum überzeugend in die Tiefe zu öffnen.
Neben der fiktiven Erweiterung des Raumes in die Tiefe spielt aber auch die scheinbare Bewegung aus dem Bild heraus eine bedeutende Rolle. Durch die Darstellung flüchtiger Momente, wie etwa dem Blick aus einem Fenster, gelingt es Künstler*innen die Neugier der Betrachtenden zu wecken. Ein Meister auf diesem Gebiet war beispielsweise Gerard Dou, ebenfalls ein Schüler von Rembrandt.
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Jacobus Vrel, Frau am Fenster, 1654 datiert © KHM-Museumsverband, Kunsthistorisches Museum Wien
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Hoogstraten, Die Pantoffeln, 1650/75, Paris, Musée du Louvre; Foto © RMN-Grand Palais (musée du Louvre) / Michel Urtado
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Gerard Dou, Alte Frau am Fenster, Blumen gießend, 1660/65 © KHM-Museumsverband, Kunsthistorisches Museum Wien
Ganz schön vielseitig?
Dimensionen von Illusionen
“Jenes ganze Werk geriet ihm so glücklich, dass die Wahrheit sich nicht anders verhielt wie die Malerei.”
Giorgio Vasari über Parmigianino, 1550/68
Mit einem kleinen, aber besonders raffinierten Objekt sorgte der italienische Maler Parmigianino Anfang des 16. Jahrhundert für Furore. Aus seiner Auseinandersetzung mit Wirklichkeit und Wahrnehmung ging ein völlig neuartiges Selbstbildnis hervor, das ihn scheinbar in einem gewölbten Spiegel zeigt und so den Rahmen des zweidimensionalen Bildes sprengt.
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Francesco Mazzola, gen. Parmigianino, Selbstbildnis im Konvexspiegel, um 1523/24
© KHM-Museumsverband, Kunsthistorisches Museum Wien
Mehr als 100 Jahre später treiben Rembrandt und Van Hoogstraten das Spiel mit der Täuschung in ihren illusionistischen Objekten noch ein Stück weiter.
Sie verzichten ganz auf konventionelle Rahmen und nehmen Rücksicht auf den geplanten Aufstellungsort des Bildes. So könnte etwa auch Van Hoogstratens hölzerne Schranktür mit daran hängenden Gegenständen in eine Wandverkleidung eingelassen präsentiert worden sein.
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Hoogstraten, Trompe-l’oeil-Stillleben, 1655, Akademie der bildenden Künste Wien © Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste Wien
Erleuchtung?
Die Farben des Lichts
„(...) genauso müssen auch die Lichtstrahlen, wenn sie auf einen Körper stoßen, der ihnen nicht erlaubt hindurchzugehen, zurückgeworfen werden.“
René Descartes, 1664
Eine weitere wichtige Zutat illusionistischer Malerei ist das Licht.
Durch starken Kontrast zwischen Licht und Dunkel gelingt es Rembrandt bereits früh, die Dramatik seiner Bilder zu steigern und die Präsenz der Dargestellten zu erhöhen. In diesem Bild verleiht das Licht dem weißen Kleid eine solche Leuchtkraft, dass es – wie in einem Spiegel reflektiert – noch weitere Oberflächen zum Strahlen bringt. Van Hoogstraten versucht die Erkenntnisse seines Lehrers theoretisch zu untermauern und erforscht methodisch die Effekte verschiedener Lichtquellen und ihren Einfluss auf die Farbgebung.
Etwa gleichzeitig nutzt sein berühmter Kollege Vermeer neue Erkenntnisse der Optik, um seinen Werken besondere Atmosphäre zu verleihen. Ein beeindruckendes Zeugnis seiner Fähigkeit, Betrachtende buchstäblich hinters Licht zu führen, hinterließ er mit seinem Bild
Die Malkunst.
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Rembrandt, Judith beim Bankett des Holofernes, 1634, Madrid, Museo Nacional del Prado
© Museo Nacional del Prado, Madrid
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Johannes Vermeer van Delft, Die Malkunst, 1666/68
© KHM-Museumsverband, Kunsthistorisches Museum Wien
Alles im Griff!
Maßgeschneiderte Bilderrätsel
„Denn ein vollkommenes Gemälde ist wie ein Spiegel der Natur, welcher die Dinge, die nicht sind, als solche erscheinen lässt und auf eine erlaubt unterhaltsame und lobenswerte Weise täuscht.“
Samuel van Hoogstraten, 1678
Seine Beschäftigung mit dem Thema Illusion führte Van Hoogstraten immer wieder zu neuen Bildideen. Ein absolutes Erfolgsmodell wurden seine gemalten „Steckbretter“.
In ihnen stellt er von Bändern gehaltene Alltagsgegenstände und persönliche Objekte täuschend echt in ihrer realen Größe dar. Auf diese Weise sprechen die scheinbar zufällig über die Fläche verteilten Dinge nicht nur den Seh- sondern auch den Tastsinn an. Solche Bilder werden auch als Trompe-l'œil (frz. „Täusche das Auge“) oder „Augenbetrüger“-Stillleben bezeichnet und waren im 17. Jahrhundert außerordentlich beliebt. Auf diesem „Steckbrett“ hat Van Hoogstraten 21 Gegenstände versammelt. Viele davon hängen mit seiner Tätigkeit als Maler, aber auch als Schriftsteller und Kunsttheoretiker zusammen.
Mehr zu einigen der zum Teil rätselhaften Objekte können Sie direkt im Bild erfahren – und dabei ähnliche Objekte aus dem Kunsthistorischen Museum entdecken!
Während sich unter dem oberen Band des Steckbretts primär Schreibutensilien befinden, werden vom unteren Band vor allem Kosmetikartikel gehalten. Dazu zählen etwa ein Rasierpinsel und ein Rasiermesser, wohl mit einem Griff aus Schildpatt.
Die Goldmedaille zeigt Kaiser Ferdinand III. im Profil. Van Hoogstraten erhielt sie – zusammen mit einer goldenen Ehrenkette – bei seiner Audienz am Kaiserhof 1651 als Ausdruck der Bewunderung des Kaisers für die außerordentlichen illusionistischen Fähigkeiten des Künstlers. Sie wurde zu seinem Markenzeichen und erzählt von Anerkennung und Wohlstand.
Ein weiteres Exemplar dieser Medaille finden Sie in unserer Onlinesammlung.
Dieses Lobgedicht, das Kaiser Ferdinand III. von Johann Wilhelm von Stubenberg zu Ehren Van Hoogstratens schreiben ließ, um seine Kunst zu würdigen, nimmt Bezug auf die Anekdote vom Wettstreit zwischen den antiken Malern Zeuxis und Parrhasios: Van Hoogstraten habe die beiden noch übertroffen, indem er mit seinem Bild sogar den Kaiser getäuscht habe.
Ihr die ihr zweyfelt daß des Zeuxis Meisterhand
die Vögel had geteuscht durch falsche farben-trauben
daß ihm die Meisterschaft ein Edler Regd kont rauben
durch zärttern Pinsels fleiß und weißes Mahl-gewand
Kommt schaut den Hoochstraet an! Der Herrscher aller Weltt
durch seines Pinsels Kunst in gleichen irrtuhm fällt.
J. W. Herr von Stoebenberch
Wien 16[…]
Solche ovalen gedrechselten Elfenbeindosen enthielten üblicherweise kleine Porträts als Erinnerungsbilder und Sammlerstücke. Hinter dieser sogenannten Kapsel ist eine leicht geöffnete Urkunde mit gelösten Siegelbändern zu erkennen. Doch weder Dose noch Schriftstück verraten das Geheimnis ihres Inhalts.
Die goldenen Buchstaben auf dem Buch mit dem roten Ledereinband verraten, dass Van Hoogstraten es selbst verfasst hat. Das Trauerspiel „Dierijk en Dorothé” erschien 1666 in Den Haag und erzählt die Geschichte von der Belagerung Dordrechts Mitte des 11. Jahrhunderts, ergänzt durch die Liebesgeschichte zwischen der Tochter des Bürgermeisters Dorothé als Personifikation Dordrechts und dem niederländischen Graf Dirk IV. Van Hoogstraten verbindet die Geschichte auch mit Hinweisen auf das zeitgenössische politische Geschehen in seiner Heimatstadt Dordrecht.
Gleich mehrere der Objekte geben Hinweise auf Van Hoogstratens Tätigkeit als Schriftsteller. Auf den beiden Broschüren hinter dem unteren Band sind nur wenige Buchstaben zu erkennen. Sie lassen vermuten, dass es sich um Exemplare von Van Hoogstratens Trauerspiel „De Roomsche Paulina” handelt, das 1660 in Den Haag erschien. In dieser klassischen römischen Tragödie verliert Paulina, die Frau eines angesehenen Römers, durch eine Intrige ihre Keuschheit und rächt daraufhin diesen Verrat.
Schreibfeder und Federmesser verweisen ebenso wie etwa die Papierschere und das gerollte Papier auf Van Hoogstratens Tätigkeit als Schriftsteller. Die zusammengerollte Broschüre links oben ist mit einem marmorierten Deckblatt versehen. Die Technik des Marmorierens war Ende des 16. Jahrhunderts über das Osmanische Reich nach Europa gelangt und wurde vor allem als besondere Dekoration im Buchgewerbe eingesetzt. In einer Art illusionistischem Spiel übersetzt Van Hoogstraten das kunstfertig nachgeahmte Material schließlich in das Medium der Malerei.
Ein ähnliches Messer befindet sich als Teil eines Schreibzeuges in unserer Onlinesammlung.
Im unteren Teil des Steckbretts finden sich gleich zwei Kämme: ein kleinerer Doppelkamm mit feinen Zinken, wie er bis heute zum Entfernen von Läusen verwendet wird, und ein grober Kamm, vermutlich aus Horn, zum Beispiel für Perücken. Er könnte auch als Hinweis auf das Ordnen der Gedanken dienen.
Einen etwas älteren Doppelkamm aus Elfenbein finden Sie auch in unserer Onlinesammlung.
An einem Seidenband hängt ein ovaler, von goldgefassten Edelsteinen gerahmter Anhänger. Das in Stein geschnittene Relief zeigt vermutlich den Profilkopf eines antiken römischen Kaisers.
Das wertvolle Schmuckstück könnte eine Anspielung darauf sein, dass zu Van Hoogstratens Bewunderern auch Ferdinand III. zählte. Als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches sah er sich in der Nachfolge antiker Herrscher.
Vor dem beschriebenen Blatt Papier steckt ein geöffneter versiegelter Brief. Die Buchstaben auf dem Siegel verweisen auf den Namen des Künstlers: Samuel van Hoogstraten. Daneben ist eine Stange Siegelllack zu finden, möglicherweise als Anspielung auf Van Hoogstratens Tätigkeit als Schriftsteller. Auf sein Schaffen als Maler könnte die Bügelbrille, Symbol für den Sehsinn, hinweisen.
MyPinboard
Eine interaktive Station in der Ausstellung
Bis heute nutzen Künstler*innen neue technische Errungenschaften, um ihr Publikum in Staunen zu versetzen. Obwohl im Zeitalter digitaler Bildbearbeitung und virtueller Realität Sinnestäuschungen präsenter denn je sind, bleibt die Begeisterung für illusionistische Erscheinungen ungebrochen.
Die Objekte, die Sie dafür auswählen können, wurden von einem Programm erstellt, das darauf spezialisiert ist, mithilfe Künstlicher Intelligenz „Kunstwerke” herzustellen.
So können Sie, unterstützt von neuer Technologie, virtuell mit Rembrandt und Van Hoogstraten in einen Wettstreit treten. Die Dinge, die uns durch den Alltag begleiten oder die als Statussymbole gelten, sehen heute allerdings ganz anders aus als vor 400 Jahren. Deshalb laden wir Sie in der Ausstellung ein, ihr persönliches „Steckbrett“ zusammenzustellen. Einige der Ergebnisse, die als Anregung dienen können, über die zukünftige Entwicklung illusionistischer Kunst zu reflektieren, sehen Sie hier.